“Schreibste mir / schreibste ihr / schreibste auf MK-Papier.” “Heute bleibt die Küche kalt / wir gehen in den Wienerwald.” Ich kann mir nicht helfen: Wenn ein Werbespruch sich reimt, dann muss ich ihn mir merken, wahrscheinlich bis an mein Lebensende. Und zwar zwanghaft abgespeichert unter “Macht mich an, Widerstand zwecklos”, also ganz im Sinne des Werbetreibenden.
Die Zeit der gereimten Werbung ist zwar längst vorbei und wird nur noch dann und wann als ironisches Revival zelebriert, aber das vor Urzeiten Gereimte wirkt und wirkt und wirkt.
Ähnliche Effekte erzielt in meinem Kopf die Reklameprosa der 50er-Jahre. Die lässt das ganz große Gefühlskino ablaufen. Ein Beispiel dafür – samt gereimter Pointe am Schluss – ist das folgende Zitat aus der 1953 erschienenen Hauszeitung des Herforder Bettenherstellers Stiegelmeyer. Dieses Blatt trug, nebenbei, den wunderbaren Namen “Die Metallbettstelle”. Man muss sich den Text von der knarzenden, aufgekratzt euphorischen Stimme eines Wochenschau-Sprechers aufgesagt vorstellen, dann ist er am schönsten. Also:
Eine Nacht in einem Stiegelmeyer-Bett, und der vielgeplagte Diplomat vergisst seine Sorgen, der verlassene Liebhaber verliert seinen Kummer, der Kranke spürt keine Schmerzen mehr, der Müde erhält neuen Lebensmut; jeder findet das, was er braucht! Ein Segen für die vielgeplagten Erdenbewohner, und unsere gute Mutter Erde glättet bei jeder Metallbettstelle, die unseren Fabrikraum verlässt, ihre sorgendurchfurchte Stirn und lächelt milde. Sie weiß wie alle klugen Leute:
“Wenn etwas kann die Welt noch retten, dann sind das Stiegelmeyer-Betten!”
Der ostwestfälische Bettenbauer war schon damals ein Unternehmen nach meinem Geschmack: wo die Chefs noch selbst auf dem Werkshof herumfuhrwerkten, wo die Ärmel hochgekrempelt und die Rohrzangen angesetzt wurden, bis das hochpolierte Endprodukt stand und mindestens 50 Jahre hielt.
Mit dieser Haltung ist die in Herford im Jahr 1900 eingetragene Firma Stiegelmeyer vom Zwei-Mann-Stahldrahtmatratzen-Startup zum deutschen Marktführer bei Hightech-Krankenbetten im 21. Jahrhundert geworden.
Es ist ja häufig so: Die innovativsten, krisenfestesten und anpassungsfähigsten Unternehmen sitzen in den kleinen Städten und sind familiengeführt. Sie machen von sich wenig Aufhebens und meistern gerade dadurch die Kunst, sich immer von Neuem auf das Wesentliche zu konzentrieren: Zukunft.
Diese Zukunft erschaffen sie quasi als Nebenprodukt täglich neu, indem sie durchdachte, nutzbringende Dinge herstellen. Und das in Deutschland! Man kann gar nicht genug betonen, wie außerordentlich diese vermeintliche Selbstverständlichkeit angesichts eines knüppelharten Wettbewerbs auf den Weltmärkten ist.
Wie das aber viele Jahrzehnte lang funktioniert (und wie dabei oft die aberwitzigsten Situationen überstanden werden müssen), konnte ich in den vergangenen Monaten wieder einmal nachvollziehen. Im Auftrag von Pro Heraldica habe ich die 2016 erscheinende Firmenchronik von Stiegelmeyer recherchiert und aufgezeichnet. Losgegangen ist es in Herford einst mit einer Stahldrahtmatratzen-Produktion. Damals sah das ungefähr so aus wie auf diesem Briefkopf aus dem Jahr 1902:
Angesichts dieser beschaulichen Ursprünge scheint es ein wenig wie Zauberei, dass heute diese glitzernde Hightech-Welt daraus geworden ist. Aber eben doch keine Hexenkunst, sondern solide Aufbauarbeit mit steilen Lernkurven, die das Unternehmen über alle Flauten und historischen Tiefpunkte hinweg trugen. Kann man demnächst dann ausführlich nachlesen.
Wenn schon nicht die Welt, so konnten die Stiegelmeyer-Betten also zumindest die wirtschaftliche Existenz vieler Menschen über unruhige Zeiten hinweg retten. Retten / Betten: Machen Sie sich Ihren eigenen Reim darauf!
Die Vermutung, die Zeiten des Reims in der Werbung seien vorbei, ist leider, leider falsch. Es gibt sie noch, die schlimmen Ohrwurm(halb)reime. So dichtete eine bekannte Supermarktkette vor wenigen Jahren: Mein Einkauf hat ne Ecke / bei der ich richtig spar / und diese rote Ecke / gibt’s nur bei E***ar
Den Müllermilch-in-Flaschen-Song zitiere ich nicht, aber Sie wissen schon, welchen ich meine.
Ah, da hat jemand (Sprach-)Musik im Blut…
Wie gesagt, ich leide weniger unter den Reimen selbst als unter meinem Zwang zum lebenslänglichen Abspeichern.
Übrigens gibt es da ja immer noch eine Steigerung des Reklame- Reimzwangs: http://www.zeilensturm.de/?p=2432